Freitag, 4. Januar 2013

fünf minuten


es gibt situationen im leben, in denen alles von fünf minuten abhängt. momente, in denen fünf minuten alles verändern, eine einstellung, eine meinung, eine geschichte verändern können. 
wäre ich fünf minuten früher zuhause gewesen. wenn ich unmittelbar vorher im supermarkt nicht drei mal wieder zum eingang zurückgegangen wäre, weil ich sachen vergessen hatte. wenn ich meinen einkaufszettel vollständig gehabt hätte. oder wenn ich, bevor ich zum supermarkt ging, nicht noch mal hätte auf toilette gehen müssen. oder mich nicht umgezogen hätte. oder wenn ich, als ich vorher in der stadt war, die bahn, die mir vor der nase weggefahren ist, bekommen hätte und nicht vier minuten auf die nächste hätte warten müssen. wenn ich in der innenstadt nicht noch in diesen einen schuhladen gegangen wäre, in dem ich ein paar minuten verbracht habe. oder wenn ich mich im laden nicht noch nach ohrringen, die ich eh nicht gekauft habe, umgesehen hätte. oder wenn ich heute mittag nicht getrödelt hätte und eine frühere bahn in die stadt genommen hätte. wenn ich meine haare heute nicht zum ersten mal seit tagen wieder geföhnt hätte. wenn ich rechtzeitig aufgestanden wäre. beispielsweise, als mein wecker zum ersten mal klingelte. oder wenn der anruf, der mich letztlich zum aufstehen zwang, fünf minuten früher passiert wäre. oder wenn ich gestern nacht nicht diese absolut abgefahrene kurzgeschichte von diesem einen autor gelesen hätte – dann wäre ich früher eingeschlafen und vielleicht rechtzeitig aufgestanden. wenn mein ehemaliger mitbewoherboy mir nicht vor einer halben ewigkeit das andere buch dieses autors gegeben hätte, das mir so gut gefiel, dass ich noch mehr von ihm lesen wollte.
wäre auch nur eine dieser sachen passiert, dann wäre ich heute nachmittag fünf minuten früher zuhause gewesen. ich würde unten die tür aufschließen, die schweren einkäufe in der großen blauen tasche mühevoll nach oben schleppen, ein paar beleidigungen von mir geben und mich selbst dafür verfluchen, dass ich immer alle schweren sachen auf einmal kaufe. ich wäre die schmale, steile treppe mit dem zerfledderten grünen teppich langsam hoch gegangen, wegen der einkäufe. und dann hätte ich mich plötzlich beeilt – weil ich das telefon klingeln gehört hätte. wegen der eile hätte ich nicht auf das display geschaut und hätte einfach so auf den grünen knopf gedrückt, hätte halb genervt, halb außer atem „ja, hallo?“ gesagt und vermutlich hätte ich dann deine stimme gehört und du hättest wasauchimmer gesagt und hättest aus welchengründenauchimmer angerufen und ich hätte wasauchimmer mit dir geredet und ich würde sehr wahrscheinlich wieder anfangen, über dich nachzudenken, noch immer.
aber das ist nicht passiert.
stattdessen kam ich dann nach hause, als ich nach hause kam. weil ich nicht früher aufgestanden bin. weil der anruf heute vormittag nicht früher kam. weil ich damals einen literaturtipp bekommen habe. weil ich noch mal im schuhladen war, verdammt, ich mag schuhe halt. weil ich mir den schmuck anschauen wollte, weil ich auch schmuck mag, verdammt. weil ich nun mal niemals vollständige einkaufszettel schreibe und immer, wirklich immer im supermarkt wieder zurückgehen muss, weil ich eben so bin. 
also kam ich nach hause, als ich eben nach hause kam. ich stellte meine große, blaue einkaufstasche in der küche ab, ging in mein zimmer, zog mir erst die schuhe, dann die jacke aus, legte meinen schal ab, habe musik angemacht, einen schluck wasser getrunken. dann ging ich wieder zurück in die küche, um meine einkäufe zu verstauen, guckte dabei richtung flur und sah, dass der eine knopf am telefon, der einem verpasste anrufe zeigt, am blinken war. und weil ich blinkende dinge hasse, packte ich das, was ich gerade in der hand hielt (vermutlich war es ein glas rotes pesto) zur seite, ging zum telefon, dachte dabei, dass der verpasste anruf bestimmt von den freunden meines mitbewohnerboys gewesen sei, weil sie oft anrufen. ich nahm das telefon in die hand, drückte auf das blinkende etwas, auf ein paar andere knöpfe und dann: deine nummer. ein verpasster anruf von dir. weil ich für einen moment überrascht und auch ein bisschen schockiert war, habe ich nicht alles sofort weggedrückt. dann veränderte sich die anzeige und dann stand da das datum (4. januar 2013) und der zeitpunkt deines anrufs: 15.25 uhr. ich drückte ein paar mal auf den roten knopf, bis ich wieder auf der normalen telefonanzeige war. und da stand: 4. januar 2013. und die uhrzeit des moments: 15.30 uhr. ich habe deinen anruf um fünf minuten verpasst. wäre auch nur eine sache heute, gestern oder irgendwann anders gewesen, hätte ich ihn nicht verpasst und wäre rangegangen. ich hätte mit dir geredet, vielleicht, und wüsste, weswegen du mich überhaupt angerufen hast, vielleicht. 
aber das ist nicht passiert. was auch immer das ist – vorhersehung, schicksal, oder nur eine kette von zufällen – ich weiß, dass es nicht grundlos ist, und vermutlich auch besser. 
fünf minuten sorgen zwar dafür, dass ich jetzt gerade darüber nachdenke. aber sie sind auch dafür verantwortlich, dass du aus meinem leben fernbleibst – und dass ich endlich weitermachen kann, vielleicht.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen