Mittwoch, 6. Mai 2015

der zusammenhang von krankheiten, nora und bahnfahren

vor etwa 700 tagen habe ich nora gomringer zum ersten mal getroffen. wie viele tage ich sie damals schon kannte weiß ich nicht. weil das das schöne im literaturstudium ist: man lernt immer und immer neue schreibende kennen. nora war eine, die im gedächtnis blieb. und dieser umstand ist nicht nur der tatsache zu verdanken, dass sie die tochter ihres vaters ist.

zu der zeit, vor etwa 700 tagen, hatte ich gerade für ein literaturfestival gearbeitet. nora gewann einen lyrikpreis, nora wurde überraschungsgast, nora wurde mein persönlicher stargast. wir holten sie vom flughafen ab und nicht eine minute der fahrt blieb wortfrei. allerdings war nora gepäckfrei. zum glück wurde ich im vorfeld mit allerlei büchern versorgt, sodass sie ihre lesung trotzdem abhalten konnte. ich hatte tränen im und ums auge, als sie dort genau den text las, den ich viele hunderte tage vorher als ersten text von ihr las.

auch, wenn dies hier nicht an die live-erfahrung herankommt: ob geschrieben oder geatmet oder gelesen gehört dieser text zu einem der besten und ergreifendsten (abgenutztes wort, ich weiß) zu diesem thema, die ich kenne (und ich kenne viele).

in diesem jahr, in diesem monat, in dreiundzwanzig tagen, um genau zu sein, wird nora wieder auf diesem festival sein und ich freue mich darauf, seit ich es weiß (also seit etwa neunzig tagen). obwohl ich für das festival nicht mehr arbeite, will ich doch auf jeden fall vorbereitet sein. und weil ich eh gerne lese, habe ich mir jetzt, quasi direkt nach erscheinung (sarkasmus), endlich ihren neuen band gekauft. er heißt morbus und steht in optischer verwandtschaft zu seinem vorgänger monster poems (man darf schon gespannt sein auf mode, den noch zu erscheinenden letzten teil der lyriktrilogie). zum einen folgten auf fünfundzwanzig monster nun fünfundzwanzig krankheiten, zum anderen hat sie wieder gemeinsame sache mit grafikdesigner reimar limmer gemacht. hier kann man sich die beschreibung und ein paar bildchen auf der verlagsseite anschauen, hier eine schicke leseprobe.

klar, es geht um krankheiten. der inhalt versteckt sich im titel. die krankheiten treten in alphabetischer reihenfolge auf. an sich sind die faszination für krankheiten und dahinschwindende körper und der zugrundegehende mensch keine neuheiten in der literatur. dazu reicht ein blick in die literatur des expressionismus aus, um nur ein beispiel zu nennen. klar, es geht nicht bloß um krankheiten, die über sich selbst mit der stimme noras sprechen und sich selbst damit beschreiben. wer nora kennt, der weiß, wie viel spaß sie mit sprache hat und macht und dass sie immer wieder etwas mit der sprache machen wird. genau das macht sie auch hier: sie spielt und lässt spielen. poesie und ironie stehen auch zwischen wahnsinn und lepra genauso nebeneinander wie der mensch und seine krankheiten. viel besser weiß ich es auch echt nicht zu beschreiben.

aber hier noch eine lustige anekdote dazu: heute vormittag machte ich mich auf dem weg, um meine masterarbeit in druck zu geben. auf dem weg holte ich das buch von der post ab und fing an, es in der bahn zu lesen. als ich hochschaute, war ich plötzlich in borgfeld. das ist das ende von bremen und liegt fast in niedersachsen. ich habe tatsächlich bei der lektüre dieses buches meinen halt knapp um fünf bis sechs stationen verpasst. ein grandioser anfang für den anfang des endes meiner masterarbeit. aber das ist eine andere geschichte.

um abschließend nochmal auf nora zurückzukommen: wem monster und krankheiten too much sind, wird sicher eines ihrer zahlreichen anderen projekte lieben. oder sich in ihren clips verlieren. und wenn sie mal gerade nicht an büchern schreibt oder unterwegs ist, dann leitet sie auch noch die villa concordia
(weil sie so wahnsinnig viel macht, ist sie für mich ein bisschen wie die brüder grimm, nur als frau und alleine und deswegen schon viel kuhler.)

hier in aller deutlichkeit: am 29. mai performt nora (dieses verb trifft es bei ihr besser als 'lesen') bei der eröffnungslesung von poetry on the road im theater bremen; am 30. mai liest sie im gerhard-marcks-haus aus monster und morbus.

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