Dienstag, 24. Mai 2011

Viel zu schnell

Nach dreimaligem Vortrag (10. April Acrobat Readers, 15. Mai Göttinger Poetry Slam, 21. Mai Kulturtag im Apex als Steinmenschen bauen-Team) geht's für diesen Text hierher. 

An einem Tag, in einem Ort, ging ich auf dich zu, so langsam, Zeitlupe, und dann ging alles ganz schnell. Ich habe nicht darüber nachgedacht, der Sturm kam zu heftig, zu kräftig, und wehte alles weg, was ich mitgenommen und mir vorgenommen hatte. Meine Vorsätze – sie hatten nichts mit dir zu tun, meine Rippen lagen einfach viel zu frei. Und ich wollte mein Skelett nicht füllen. Füllen lassen. Und dann sah ich dich, an diesem Tag, und es ging viel zu schnell. Aber es fühlte sich gut an, so natürlich. Plötzlich sind die Bäume wieder rosa, von einem Tag auf den nächsten. So war das auch bei uns. Wir haben kaum geredet. Du nahmst meine Hand und mich mit, kalt war sie, es war Winter. Und das Eis an den Ästen schmolz schon dahin. Immer wenn ich was sagen wollte, legtest du deinen Finger auf meine Lippen – er war so weich und warm und ich konnte nicht mehr reden. Wir gingen durch den Wald und ich habe meine Tasche verloren – aber ich hatte ja noch meinen Schal um. Die Natur schien geschützt vor uns und wir von ihr. Es war alles so rein und so da und hier, so wenig wie wir voneinander wussten und so gut das Schweigen tat. Aber viel zu schnell. Wir gingen langsam, als die Wurzeln der Bäume sich an uns hoch rankten. Aber es war viel zu schnell. Ich wollte nicht nachdenken, nicht immer diese immer wieder gleichen Gedanken haben wie früher, ich wollte genießen, schweigen, laufen, nach vorn sehen, aber nicht so schnell. Obwohl es so richtig war, so schnell zu sein. Und so schön. Wir legten uns auf den zugefrorenen See und wetteten, wer es länger aushält, wenn das erste Eis knarzt. Wir kletterten auf Bäume, um die Welt zu sehen hinter unserer. Das wollte ich nicht, aber so hoch sind wir eh nie gekommen. Wir pfiffen auf Grashalmen und das war unser Gespräch. Wir ritzten unsere Namen in die Baumrinde und vergaßen dabei die Jahresringe. Und deinen Namen wusste ich auch nicht. Aber manchmal gibt es Dinge, die einfach nicht wichtig sind in dem Moment. Ohne die man auch so leben kann. Meistens sogar noch besser. Ich wollte diese Gedanken nicht haben, ich wollte nicht dieses ständige Gedenke machen und in meinem Kopf so laut sein, wo doch dein Schweigen so viel besser ist für mich. Und manche Gedanken waren einfach gar nicht da, die da sein sollten. Dass ich nicht daran gedacht habe, was passiert. Was passiert, wenn mir mein Herz in den Benzinkanister fällt? Wenn ich es absichtlich habe reinfallen lassen? Ich habe die Brandfläche selber geliefert, da habe ich nicht das Recht, mich zu beschweren. Da hätte ich doch wissen können, dass auch nur ein einziger Funken dafür sorgen kann, dass… Ich wollte keine Funken. Nicht so bald. Aber es ging zu schnell und da sprühten die Funken schon. Weil es so schnell ging, weil wir so schnell gingen, die Reibung an der Erde war zu stark und so entstanden die Funken, als wären wir Feuersteine. Ein Funken traf mein Herz und der See war zu weit weg, die dunklen Wolken plötzlich verschwunden, was sollte ich denn auch tun. Dann hatte ich nur noch Asche in der Hand. Ich verschloss sie zu einer Faust, meine Knöchel stachen weiß hervor. Und du, du nahmst meine Hand, weil du dachtest, sie sei kalt, weil du nicht gesehen hast, dass es gerade gebrannt hat. Zu schnell war das, so schnell, dass du nicht mal fragen konntest. Und dann dieser Windhauch, der die Asche davon wehte. Ein bisschen Glut war noch da, die setzte dann das morsche Holz in Brand. Und du, du konntest mich nur ansehen. Viel zu schnell. Aber ich kann doch nichts dafür. Ich wollte mich dagegen wehren, und es ist nicht meine Schuld. Ich wollte es probieren, dir einen Versuch geben mich halten zu können und ich kann nicht lügen. An diesem Tag, an diesem Ort, da ist etwas mit mir passiert, der Wind hielt nicht an und brachte mir dich. Aber es ging einfach viel zu schnell. Und dann wollte ich nur noch nach Hause. Ohne alles, nur mit dir, habe ich es nicht mehr ausgehalten, und auch die Eulen hörten auf zu singen. Ich wollte dich nicht da stehen lassen und wollte, dass du mit kommst, mit mir, zu mir, aber du gingst weg und drehtest dich noch nicht mal um. Ich kann dir noch nicht mal böse sein und du mir auch nicht. Es ging einfach viel zu schnell. Auf dem Weg sah ich einen Stein am Wegrand und ich wollte unsere Namen rein meißeln und zwei Daten. Aber plötzlich fielen mir unsere Namen nicht ein und ich hatte keine Ahnung, welcher Tag war, weil alles so schnell ging. Und dann sah ich unseren Baum, mit unseren Namen, aber ich konnte keine Buchstaben erkennen. Aber den Baum. Mitten im Wald, da steht unser Baum, mitten im Wald, ein Kirschbaum. Und als ich nach Hause ging, fielen langsam die ersten Blütenblätter und blieben mir im Haar hängen. Vielleicht kann ich mich in ein paar Jahren nicht mehr an dich erinnern. Aber dann bleibt ja der Baum, der Beweis, dass es dich gab und dass es einfach viel zu schnell ging. Ich werde wieder zu diesem Baum gehen. Und hoffen, dass ich dich dort wieder treffe. An einem anderen Tag.



1 Kommentar: